Stephane de Medeiros
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Stéphane de Medeiros’ schizophrene Possen (Auszug)
von Stéphane Rengeval

(…) Der Cartoon-Effekt ist ein typisches Kennzeichen des visuellen Katalogs von Stéphane de Medeiros, der Formen in Haltungen und Haltungen in Formen überführt. Der Status des Kunstobjekts wird im Bereich des Komischen untersucht, was zuweilen den Zynismus eines, endgültig mit jedem vorgeblichen Ernst brechenden Jeff Koons hervorzurufen vermag. Geschichten werden dabei zu einem unverzichtbaren Element einer universellen Kultur freiheitlicher Begegnung zwischen Superhelden und Ikea-Sesseln und kleinen Liedern. Eine scheinbar vom Himmel
gefallene Hundehütte erdrückt ein menschliches Abbild, ein Hundehaufen entmachtet Spiderman und ein verlorener Froschmann geht seiner Arbeit auf dem Balken einer Ausstellungshalle nach. Im Modus der Installationen finden visuelle Kurzschlüsse eine perfekte Gestalt, erinnern an Haikus, und bereiten gleichzeitig Anekdoten und Symbole der Konsumgesellschaft auf.

Wenn die Installationen von Stéphane de Medeiros Geschichten enthalten, dann in Form von visuellen Anekdoten, kurzen, unabhängigen und abtrennbaren
Bruchstücken. Das Lektüreangebot beschränkt sich auf verdichtete Erzählungen. Sinn ergibt sich aus der Vereinigung der Bruchstücke mit dem ins Beiwerk (Die
Hundehütte, die Möblierung) verwiesenen erzählerischen Potenzial. Die Performances haben dagegen gar keinen erzählerischen Hintergrund, sondern stellen einfache Szenarios dar, die Gebrauch machen von Wiederholung, Stillstand und überhaupt von allen Kniffen der Konstruktion absurder und burlesker Formen. Die Komik der Aktion verstärkt sich durch eine an Roussel erinnernde Verschmitztheit mit mechanischem Beigeschmack. Die realistische Behandlung der gezeigten Objekte und besonders der Körper – sei es als Model, Mannequin oder Automat - durchzieht die gesamte Arbeit. Durch die Einbindung seines eigenen Körpers (Gezeichnet der
Herzkranke), erschafft der Künstler „lebendiges Geld“ im Sinne Klossowskis8:
Er nimmt die Qualität des Zeichens auf sich und bildet damit „Wert“. Die in diesem Komplex des Notbehelfs enthaltenen Teilstücke fordern die im Blick liegende Reserve der Phantasie heraus. Beispiele sind der gähnende Mund des Performers, überdimensionierte künstliche Augen, Perücken und Masken, mit welchen die Akteure ausgestattet sind. Ein anderer bezeichnender Aspekt der Arbeiten von Stéphane de Medeiros ist die Entkontextualisierung, die als burleske Technik (der an
der Decke hängende Froschmann) aber auch als Garant der Gegenwartswelt auftritt:
Die gleichzeitige und grenzüberschreitende Wahrnehmbarkeit zeitlicher Objekte (in Radio, Fernsehen usw.) führt nach Bernard Stiegler zu einer allgemeinen Entkontextualisierung, als eine Folge der Industrialisierung des Gedächtnisses9. Die besagten Objekte entspringen einem anonymen Anderswo ohne Hier und Jetzt.
Gegenwärtige Entwürfe der Performance sollten das beachten. Wie lässt sich das aktuelle Geschehen noch von einem Bildbewusstsein unterscheiden, wenn ohne Bildbewusstsein gar nichts mehr geschieht? Die Performance unterstreicht diese Frage allegorisch.

Sofern die Arbeit von Stéphane de Medeiros ihre spaßige Dimension offen eingesteht, impliziert ihr bildstürmerischer Charakter eine Kritik an Diskursen, die Kunstobjekten eine endgültige Legitimation erteilen wollen. Es stellen sich Fragen zur Brauchbarkeit von Gags zur Störung akademischer Gewissheiten und diskursiver Glaubwürdigkeit. Gegenüber den „großen Erzählungen“ sowie gegenüber dem „Wesentlichen“ – das sich noch immer als positiver Wert zu behaupten versucht – erscheinen Gags als marginal und anekdotisch, doch als untergeordnete Sprachform bleiben sie eine Herausforderung an jegliche Autorität.
Die Destabilisierung der Idee ernsthafter Projekte widerspricht der Gestaltung von Kunstausstellungen auf der Grundlage von Kinodrehbüchern. Auf Sagbarkeit gilt es deshalb ebenfalls zu verzichten, insofern das, was als sagbar bezeichnet wird, Ausdruck eines gesetzgebenden Diskurses ist. Der Akzent der Arbeit liegt auf der Seite der Erfahrung sowie der Einpassung von Objekten und Performances in eine passende Umgebung. Die Betrachtung der räumlichen Ordnung der mentalen Bilder am Grunde der Mikroerzählungen betont die Vorherrschaft des Bildes. Die wiederkehrende Verwendung bestimmter Zeichen (eingeklemmt unter der Hundhütte des Big Bang findet sich die Perücke des großen Blonden usw.) fordert die Zuschauer zum Entwurf hintergründiger Erzählungen auf. So spielerisch die Arbeiten auch sind, sie können das Publikum auch abstoßen, weil sie jenen psychologischen Inhalt aufdecken, den Julia Kristeva zum Untergrund der poetischen Imagination und des Zweifels am rationalen Diskurs erklärt10.

Die Gewalt der dem Künstler verabreichten Ohrfeigen oder das Bild seines in einer Blutlache auf dem Boden liegenden Kopfes sind Hinweise auf eine kaum erklärbare
Kraft des Irrationalen. Das gilt auch für die Kunst, die sich Ausdrucksformen anderer Genres, des Comics oder des Films, aneignet. Wenn hier überhaupt etwas erzählt wird, dann immer in Hinblick auf das Prinzip des abwesenden Grundes, der die Entwicklung eines diachronischen Ablaufs erlaubt. Der abwesende Grund erleichtert den geistigen Sinnfluss und findet Geschmack am Absurden. Sinn für Witz und häusliche „Bescheidenheit“ ermöglicht eine Leichtigkeit des Seins ohne verwurzelte Identität.







(1) Bouvard und Pécuchet sind zwei Antihelden einem unvollendeten Roman von
Gustav Flaubert, Bouvard und Pécuchet, Frankfurt am Main,
Die Andere Bibliothek, 2003, Anm. des Übersetzers.
(2) Georges Bataille, Vorwort zu Madame Edwarda, Jean-Jacques Pauvert, Paris,
1956.
(3) Ebd.
(4) Siehe Jean Luc Godard, Godard / Kritiker. Ausgewählte Kritiken und Aufsätze
über Film (1950 - 1970), München, Hanser, 1971, Anm. des
Übersetzers.
(5) Luigi Pirandello, Ecrits sur le théâtre et la littérature, Denoël, Paris, 1968, S. 162.
(6) Jacques Lacan, Le Séminaire, Livre XI, Seuil, Paris, 1973, S. 130.
(7) Siehe besonders Edmund Husserl, Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren
Zeitbewusstseins, Tübingen, Niemeyer, 2000, Anm. des
Übersetzers.
(8) Siehe Pierre Klossowski, Pierre Zucca, Lebendes Geld, Köln, Barbara Wien, 2005.
(9) Bernard Stiegler, La technique et le temps, 2. Bd., Galilée, Paris, 1996, S. 75 – 78.
(10) Julia Kristeva, La Révolution du langage poétique, Seuil, Paris, 1974, S. 196 –
197.
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